Märchen

Es war einmal ein Mädchen, das aus einem Land nicht so weit weg kam. Sie war ziemlich schön, aber nicht zu schön, und intelligent, aber nicht zu intelligent. Eines Tages ging sie mit ihrem Rucksack in die Welt hinaus, die Weisheit zu finden. Sie ging lang und weit zu Fuß, durch Wälder und über Berge, auf Feldern und am Fluss, bis sie endlich zu einem kleinen Dorf kam.

Da traf sie einen bärtigen Mann, allem Anschein nach betagt, aber er hatte noch braune Haare und kräftige Hände. Er saß auf der Wurzel des großen Baumes, vor einem kleinen, tiefen Brunnen. Mit Tränen in den Augen spielte er eine kleine Harfe so melancholisch wie er über das Land schaute.

Das Mädchen nahte sich dem Mann und sagte:
» Gott zum Grüße! Aber warum sitzen Sie denn so an der Wurzel dieses Baumes? «

Der Mann blickte nicht auf, sondern erwiderte nur:
» Weil ich an diesem Baum 20 Jahre gesessen habe, « und fuhr fort zu spielen.

Das Mädchen, sehr wissbegierig, fragte:
» Aber warum spielen Sie denn so traurig? «

» Weil ich mich nach meiner Liebe sehne, die mir vor 20 Jahren verloren ging, « antwortete er.

» Aber warum weinen Sie denn so in den Brunnen hinein? «

Auf diese Frage erhob er sich und kniete vor dem Brunnen:
» Weil der Ring, mit dem ich meiner Liebe einen Heiratsantrag machen wollte, in den Brunnen gesunken ist. «

Das Mädchen, die Stirn etwas gerunzelt, ging zu dem Mann und kniete sich auch hin. Nach ein paar Minuten bemerkte sie:
» Könnten Sie nicht hinuntergehen, den Ring zu suchen? «

Der Mann mit roten Wangen und wütendem Ausdruck stand plötzlich auf, schrie » Na, hören Sie mal! « stolperte über einen Stein, und fiel in den Brunnen. Das betäubte Mädchen rief nach dem Mann unten: » Hallo? Sie da! Sind Sie in Ordnung? « Der Mann stöhnte und wimmerte. » Warten Sie! Ich komme zurück, « schrie sie.

Daraufhin rannte das Mädchen zum Dorf, um Hilfe zu holen. Als die Männer an den Brunnen kamen, konnten sie viele Freudenschreie und Gekreische hören. Sie zogen ihn sofort heraus und legten ihn daneben. Er war nass und schmutzig, aber man konnte ein großes Lächeln auf seinem Gesicht sehen. Mit schwingenden Armen sprudelte es aus ihm hervor: » Ich habe den Ring gefunden! Ich habe den Ring gefunden! Ich kann meiner Liebe einen Heiratsantrag machen! « Also wurde entschieden, dass er sofort am Abend zum Hause seiner Liebe gehen sollte.

Mittlerweile saß die Frau, die der Mann liebte, vor dem Herd im Schaukelstuhl und strickte. Sie hatte ein schönes Leben mit einem guten Mann, drei gesunden Kindern, und einem wunderschönen Haus gehabt. Jetzt war sie Witwe und alleine, ihre Kindern waren schon aus dem Nest geflogen. Als der Mann an die Tür klopfte, stand sie langsam auf, um die Tür zu öffnen. » Liebe Frau, jetzt habe ich den Ring. Wollt Ihr mich heiraten? « fragte der Mann. » Ja, klar, « antwortete sie und sie heirateten.

Das Mädchen war zufrieden. Sie entdeckte keine Weisheit, sondern gesunder Menschenverstand.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

ENDE

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